Muß das
eine harte Zeit gewesen sein, die Steinzeit! Ei freilich, es war eine Zeit der
Abhärtung und der Entbehrung, aber auch ein Zeit voll kühnen Mutes und der
Freiheit. Die Steinzeit endete etwa 1000 vor Christi Geburt. Solange ist die
Steinzeit vergangen und doch haben uns die Generationen dieser Zeit manches
hinterlassen, woraus wir auf die damaligen Zustände in unserer Heimat
schließen können. Die Römer, die vor und nach der Geburt Christi unser
Sachsenland heimsuchten, schildern dasselbe als eine ungeheure Wildnis,
bedeckt mit Urwald von dem einen Ende bis zum andern. Nur schaudernd dachte
der Römer an die Wälder Germaniens mit ihren unüberwindlichen Hindernissen
und Gefahren. In der Steinzeit, die etwa 1000 Jahre früher zu Ende ging, war
es noch schlimmer, weil die Bewohner noch nicht seßhaft geworden waren, wie
zur Zeit der Römer. Nun denke man sich einen Wald, auf überreich mit
Waldhumus bedecktem Boden, in dem nie eine ordnende Hand eingriff! Mächtige
uralte Eichen, Buchen, Ellern, Linden und andere deutsche Bäume hatten sich
Luft und Licht erkämpft und erzwangen sich mit ihrem starken Geäst Raum in
der Höhe und Breite. Darunter sprossen bleichsüchtige Sprößlinge derselben
Art jäh in die Höhe, spähend wo ein Sonnenstrahl zu erhaschen sei oder
sehnsüchtig wartend, ob nicht der übermächtige Riese endlich sterbend und
niedersinkend die solange genossene Luft und das so notwendige Licht freigab.
Kam ein Sturm oder Wodans Blitzschlag und legte einen solchen Waldriesen
krachend in das weiche Humusgrab des Waldes, dann ging der Kampf der jüngeren
Generation von neuem an. „Das Alte stürzt – und neues Leben wächst aus
den Ruinen.“ Doch kam nur das Starke durch, alles Schwache war dem
Verkümmern, dem Tode geweiht und sank nieder und bedeckte den Waldboden oft
meterhoch, den Würmern zum Fraß, den Waldhumus mehrend und so den
siegreichen Brüdern im Vergehen noch Nahrung für den weiteren Kampf
reichend. Kronen des Urwaldes standen ja immerhin noch unter der ordnenden
Macht der Jahreszeiten als Aequinocktialstürme hindurchfuhren, das mächtige
Geäst kämmten und das Morsche und Kranke krachend zu Boden schleuderten, um
für den Nachwuchs Licht und Luft zu schaffen. Im Urwalde herrschte
geheimnisvolles Dunkel. Aus dem Gewirr der gestürzten Äste und Bäume
arbeitete sich das Unterholz zaghaft mit seinen mattgrünen Blättern empor,
dünn, lang mit wenig Blattwerk. Der Efeu erkletterte die höchsten Bäume,
andere Rankengewächse woben undurchdringliche Netze zwischen die grünen
Stämme, als wollten sie das Heiligtum des deutschen Waldes gegen jeden
Eindringling verschließen. Die Brombeeren wehrten ebenfalls, indem sie die
Füße des Verwegenen immer mehr festhalten. Dorngestrüpp bildete eine
undurchdringliche Mauer. Nur auf den mageren Sandhügeln wird der Urwald
weniger dicht und die Bäume werden weniger stark gewesen sein.
Der Urwald der Steinzeit hielt in seinem humosen Waldboden ungemein viel
Wasser fest. Die natürliche Entwässerung, Bäche und Flüsse waren durch
hineingestürzte Bäume vielfach gehemmt, in den Tälern und Niederungen
bildeten sich vielfach Wasserlachen und Seen, daher der noch einzeln
auftretende Name für nasse sumpfige Grundstücke „Lacken“. Die
Vorbedingungen für die Torfbildung waren gegeben. Die Feuchtigkeit hatte auch
ein kälteres und rauheres Klima zur Folge. Der von der Sommersonne erwärmte
Boden gibt im Herbste beim Umschlag der Witterung einen bedeutenden Teil
seiner aufgespeicherten Wärme wieder an die Luft ab und wirkt so mildernd und
läßt den Winter nur langsam die Herrschaft gewinnen. Im Frühling hilft der
trockene Boden auch schneller zur Erwärmung beitragen. In der Steinzeit
fehlte diese Vorbedingung vollständig, da der Boden der Sonnenbestrahlung nur
sehr wenig ausgesetzt war und kaum erwärmt wurde. Es kam noch hinzu, daß die
mit Feuchtigkeit übersättige leichte Luft zur Regen- und Nebelbildung
geneigt war. Wir können also annehmen, daß zur Steinzeit sehr lange und
naßkalte Winter herrschten, der Sommer aber nur kurz war und reichlich Regen
brachte
Wild wie der Wald waren auch seine tierischen Bewohner. Außer den Tieren, die
noch jetzt unsere Wälder beleben, gab es mache Arten, die jetzt in
Deutschland nicht mehr anzutreffen sind. Wisent, Ur, Elch, Bär und Wolf. Der
Wisent wurde bis 1,7 Meter hoch und 3,4 Meter lang. Er war sehr wild und
unzähmbar. Der Ur oder das das Wildrind war von dunkler bis schwarzer Farbe,
hatte lange, spitze, weit auslegende Hörner, wurde sehr groß und soll die
Stammform des heutigen Rindes sein. Der Elch war 2,6 Meter bis 2,9 Meter lang
und eine Schulterhöhe bis 1,9 Meter. Sein Gewicht betrug bis 500 Kilogramm.
Das Geweih allein hatte oft ein Gewicht von 20 Kilogramm. Er hielt sich
in morastigen Wäldern auf und nährte sich von der Rinde, den Knospen und
Blättern der Bäume. Bären, Wölfe und Wildschweine gab es in ganzen Rudeln.
In den Kronen der Waldriesen jagten nicht nur Eichhörnchen, sondern auch
Wildkatzen und verschiedene Arten von Mardern. Am Rande der Gewässer
stolzierten Storch und Reiher, lauerten Fischotter und Biber. Wie unheimlich
mußte der Urwald erklingen, wenn diese Waldriesen sich lockend riefen,
kämpfend gegenüberstanden oder sterbend einem mächtigeren zum Opfer vielen.
Wie schaurig war der lange dunkle Winter, wenn ganze Rudeln von Wölfen in
lautem Geheul ihren Hunger kundgaben.
Der Beherrscher des Urwaldes war der Urmensch der Steinzeit. Wenngleich sich
seine Kraft mit denen der tierischen Bewohner nicht messen konnte, so ersetzte
doch der Verstand das, was ihn davon abging. Groß und stark war er. Wie
hätte auch ein Schwächling das Klima ertragen können, er wäre von
vornherein dem Untergang geweiht gewesen.
Schon das Leben im Urwalde und in den moorigen Gründen stellte die höchsten
Forderungen an die Körperkraft. Gewandtheit im Klettern, Springen, Laufen, im
Sehen, hören konnten ihm nur Erfolg verleihen in Abwehr oder beim Angriff.
Die Faust war die erste Waffe. Gar bald wird er diese mit einem Steine beim
Hiebe wuchtiger und schwerer gemacht haben. Die von den Bäumen gefegten Äste
werden als Keule auch bald den Arm verlängert haben. Sehr schnell und
erfolgreich infolge Übung und Kraft wird auch der Stein geschleudert worden
sein. Wenn der Urmensch den Fährten des Wildes folgte, wird er stets Keule
und Steine zur Abwehr oder zum Angriff bereitgehalten haben. Die Bedürfnisse
des Lebens zwangen den Menschen zum Angriff auch auf größere, gefährlichere
Tiere. Von ihrem Fleische ernährter er sich, von ihren Fellen macht er sich
die notwendigen Körperhüllen und die Knochensplitter dienten ihm als Nadeln.
Natürlich dienten ihm auch Wurzeln und Früchte des Waldes als Speise, wie
Eicheln, Bucheln, Brombeeren, Waldbeeren usw. Zur langen Winterzeit fielen
letztere aber aus. Familienweise zog der Mensch der Steinzeit durch den Wald,
jagend und Nahrung suchend. Er hatte keine festen Wohnungen. In Höhlen und
Schlupfwinkeln unterbrach er die Jägerei, bis ihn der Hunger zu neuem Jagen
hinaustrieb. Die Erfahrung hatte ihn gelehrt, daß ein spitzer Stein leichter
die Schädeldecke eines Tieres zertrümmere als ein stumpfer und so kam
er bald dahin, daß er Steine für seine Jagdzwecke besonders zurichtete. Er
benutzte meistens Holz oder Knochen dazu, um von einem Steine nur kleine
Stückchen abzusprengen, bis die gewünschte und wirkungsvolle Schneide zum
Vorschein kam.
Diese waren die Steinbeile der ersten Zeit. Sie sind recht roh gearbeitet und
lenken die Aufmerksamkeit unserer Zeit kaum auf sich; infolgedessen werden sie
nur wenig aufgehoben und als solche anerkannt. Nach und nach bekamen die
Menschen der Steinzeit eine große Geschicklichkeit in der Herstellung der
Steinbeile, so daß die gegen Schluß dieser Periode gemachten Exemplare
wirklich viel Kunst, Mühe und Arbeit zeigen. Man ist auch in der letzten Zeit
wählerisch im Material und bevorzugt Kieselschiefer und Grauwacke wegen ihrer
Härte. Am häufigsten ist wohl die Keilform. Wahrscheinlich wurde diese Form
in einer Astgabel oder in einem Keulenkopf befestigt und wurde so eine
wirksame Waffe. Die Hammerform ist seltener. Sie hat eine Bohrung von zwei
Seiten. Diese Beilform wurde wie der Hammer an einem Stiel befestigt. Zum
Bohren benutzte man wieder einen Stein, den man durch Abschlagen eine Spitze
gab. Mit diesen Steinbeilen machte sich der Mensch auch seinen Kahn, den
Einbaum, zurecht und befuhr damit die Flüsse und Seen. Zum Aushöhlen nahm er
aber das Feuer zur Hilfe, indem immer ein Feuerchen das Innere eines
Baumstammes verzehren mußte. Das Steinbeil entfernte kleinere Unebenheiten.
Bogen und Pfeile gehörten auch bald zur Ausrüstung. Die biegsame Eibe gab
das Holz zum Bogen her, das Rohr am Sumpfe lieferte die Schäfte der Pfeile.
Die Pfeilspitzen waren von Feuerstein gewonnen, der überall zu finden war.
Mit einem kräftigen Wurfe schleuderte man einen Feuerstein auf einen
Findling. Der Feuerstein zersprang in viele, kleine, messerscharfe Splitter.
Die für eine Pfeilspitze geeignetsten Splitter suchte man heraus und
verbesserte sie durch Hämmern mit Holz oder Knochen, so daß sie diese
richtige Pfeilspitzenform bekamen. Der Pfeilschaft wurde gespalten und die
Feuersteinspitze hineingeschoben und mit Leder- oder Fellriemen festgebunden.
Nun war das Geschoß fertig, die erste Fernwaffe war da. Die Geschicklichkeit
in der Führung dieser Fernwaffe wird schnell zugenommen haben. Solche
Pfeilspitzen sind in unserer Heimat viel gefunden worden. Von der Pfeilspitze
zum Ger oder Speer war ja nur ein kleiner Schritt.
Der Boden gibt uns auch Wirtel aus der Steinzeit, die zum Spinnen benutzt
wurden. Die Rankengewächse des Urwaldes, Hopfen usw., die sich quirlend in
die Höhe arbeiteten und dem Eindringling große Stärke zeigten, mußten die
Gedanken des Menschen dahin bringen, auch einen Versuch mit Fasern oder Bast
der Pflanzen zu machen. Man steckte ein Bündel Fasern an einen Stock, zog mit
der einen Hand die Fasern zur Dicke des Fadens heraus und die ließ die Fäden
durch den Wirtel an einer Spindel hangen. Während nun die zupfende Hand
gleichzeitig quirlte, kam auch die Spindel in Rotation. Der Wirtel ist ein
Steinring aus Grauwacken ähnlichem Gestein. Der Durchmesser ist etwa 3
Zentimeter, das Loch ist höchstens 1 Zentimeter. Am äußeren Rand ist er oft
noch mit einer Furche verziert. Er wird wohl aus der letzten Periode der
Steinzeit kommen und ist vielleicht auch noch in der folgenden Broncezeit in
Gebrauch geblieben. Nun wird der Leser wohl gemerkt haben, warum diese graue
Vorzeit Steinzeit genannt wird.
Ich höre die Frage: „War denn unserer Herrlichkeit in der Steinzeit schon
bewohnt?“ „Ei, natürlich!“ das beweisen doch die Funde, die in der
jüngsten Zeit gemacht worden sind. Wieviele mögen in den Jahrtausenden schon
unbeachtet geblieben sein. Wieviele solche Dokumente mögen in und auf der
Erde noch der Hebung harren? In Erle fand man Steinbeile in der Sielhorst, im
Laor, im Aeggel (=Eiche), in Rhade bei Hülsten, in Wulfen hat man neuerdings
auch ein Exemplar gefunden. In Schermbeck fand Temmler (Landwirt) auch ein
solches in der Nähe der Sielhorst (=besiedelter Wald). Die vorgemerkten
Steinbeile hatten alle die Keilform. In Erle wurde außerdem noch ein halbes
Steinbeil in Hammerform gefunden. Es war bei der Bohrung gebrochen.
Pfeilspitzen aus Feuerstein fanden Dr. Conrads bei der Michaeliskapelle in
Lembeck und Förster Homeyer im Bakerlerfeld. Die Pfeilspitze aus dem
Bakerlerfeld ist besonders schön, mit Widerhaken, ein prächtiges Stück.
Spinnwirtel wurden in Erle im Westen und Osten der Gemeinde gefunden. Für
Erle steht bis jetzt fest, daß der westliche Teil der Gemeinde, besonders die
Sielhorst, die meisten Steinbeile zutage förderte, also auch das beste
Jagdgebiet der Jäger der Steinzeit war. Trotzdem ist auch der sandige
Höhenrücken der Östrich nicht ohne Menschen der Steinzeit gewesen, man fand
dort ein Steinbeil und ein Wirtel.
Diese schönen Fundstücke, die vom Roste angefressen werden können, geben
uns also Kunde aus der grauen Vorzeit. Sie sind von ihren Besitzern einst
geliebt und hoch geschätzt worden, man sieht es an der sorgfältigen
Bearbeitung, sie sind in einem unglücklichen Kampfe vielleicht mit ihren
Besitzern zu Boden gesunken und geben uns nun Nachricht von dem weiten, weiten
Einst.
X
Dieser Text wird mit
freundlicher Genehmigung von Elisabeth und Julius Lammersmann hier gezeigt.
Das berechtigt aber nicht zu der Annahme, das dieser im Sinne des
Urheberrechts als frei zu betrachten sei und daher von jedermann benutzt
werden dürfe. Alle Rechte liegen weiterhin bei den Erben von Heinrich
Lammersmann.